Der Kampf
Als sie mir die
Handschuhe überzieht, rutscht mir das erste Mal die
Gleichgültigkeit weg.
Kurz ist da Unruhe.
Ungekanntes Staunen streift mich.
Ob es daran liegt, dass
ich die Pillen in den letzten Tagen nicht nehmen konnte.
Sie hatten gesagt, es sei verboten vor dem Kampf.
Die Handschuhe sind
von der Art, wie ich sie von Rennfahrern in alten Filmen
gesehen hatte - damals, als man die Fahrzeuge noch
selber lenkte.
Die Assistentin, die
mich betreut, ist austauschbar schön, und immer wenn ich
sie anblicke, lächelt sie wie angeknipst. Über die
Handschuhe kommen noch nietenbesetzte Bänder, die sie
mir den halben Arm hochbindet.
Nahe der Tür umsorgt
eine weitere Assistentin meinen Kontrahenten. Auch sein
Gesicht ist mit breiten Streifen geschwärzt.
Bestimmt ist er der
Publikumsliebling, denke ich, als ich seinem knallroten
Irokesenschnitt entlang schaue, der ihm bürstenbreit bis
tief in den Nacken reicht.
Ein kleiner Schmerz
reißt mich aus meinen Betrachtungen, als die Lederbänder
an den Haaren meines Armes ziepen.
Wieder dieses Gefühl.
Jäh bin ich
herausgerupft aus der Position des aus der Ferne
beobachtenden. Erneut kurz diese Welle von ungeahnter
Intensität - genauso schnell vorbei. Was ist nur los?
Wie es aussieht,
werde ich wohl sterben, bemerke ich mich denken, als ich
erneut auf meinen Gegner blicke, aber es lässt mich
schon wieder unberührt.
Er steht auf und geht
in die Waffenkammer.
Warum hatte ich noch
zugestimmt?
Sie hatten mir Sinn
versprochen. Ein Leben ohne Sinn wäre ohne Wert, und
sollte ich gewinnen, so dürfte ich für ein ganzes Jahr
auf die grüne Seite, ins Reservoir. Ein ganzes Jahr! Zu
verlieren hätte ich nichts, sagten sie.
Und jetzt bin ich
selbst Teilnehmer des Reality-TV´s, dass sich
zwangsläufig immer mehr zu dem entwickeln musste, was es
jetzt ist.
Damals fing es ganz
harmlos an. Verschiedenste Leute wurden in Häuser
gesperrt oder auf Inseln ausgesetzt und rund um die Uhr
gefilmt. Als diese Sozialpornographie seinen Reiz
verlor, wurde nach immer neuen Sensationen gesucht. Es
wurden Diebe, Sträflinge und Prostituierte in die
Gruppen geschleust, aber nichts konnte die Zuschauer
lange bannen. Schließlich wurden Kampfspiele gezeigt und
als es dann um Leben und Tod ging –Life – da blieben die
Einschaltquoten konstant.
Auch ich bin jetzt
fertig und stehe auf. Ich weiß, dass ich ebenfalls keine
schlechte Figur in dem Kostüm mache, welches den
römischen Gladiatoren nachempfunden ist. Natürlich hatte
auch ich meine Präparate genommen und verbringe Mengen
meiner Zeit in den Bodystylezentren. Wer kann es sich
leisten, nicht dem Ideal der Produktverkäufer zu
folgen. Es gibt dies und den Anschluss an die
Interaktionscomputer. Mein Leben.
In der Waffenkammer
wähle ich wie er ein leichtes Schwert, ein Schild und
einen Dolch.
Ich hatte die Sendung
„Final Fight“ oft genug gesehen um zu wissen, dass man
unter den angebotenen Waffen mit diesen statistisch die
meisten Chancen hatte.
Selbst gekämpft,
außer interaktiv, habe ich mit solchen Waffen nie.
Überhaupt hatte ich
außerhalb der Cyberwelt noch nie gekämpft – für nichts
und um nichts. Ein drittes Mal zittert ein Gefühl durch
meine Brust. Unwillig schüttele ich den Kopf.
Dann treten wir in
die Arena.
Über und um uns
schwebt die Elektronik, die vielen Kameras, die jede
unserer Bewegungen senden.
Nirgends ein Mensch.
Es gibt jetzt nur noch uns - den Staub, den die Schritte
aufwirbeln. Knarrendes Leder erfüllt die Stille.
Ewigkeiten, bis wir die Mitte der Arena erreicht haben.
Kurze Verwunderung, in welchen Film man sich träumt.
Auf den großen
Anzeigetafeln läuft der Countdown. Ich weiß, wie
wortreich gerade jetzt die Moderatoren den anstehenden
Kampf kommentierten.
Wir stellen uns in
Kampfposition und erwarten den Gong für den Beginn des
Kampfes. Teilnahmslos glotzen wir einander an.
Auf der Uhr an der
Anzeigetafel läuft die letzte Minute. Unsere Schwerter
sind noch gesenkt. Die letzten 10 Sekunden - ein lautes,
unangenehmes Piepen. Wie der Wecker zu der Zeit, als es
noch Arbeit gab.
Mechanisch heben wir
unsere Schilde. Alles ein Film.
Ich hebe das Schwert
zum Schlag, denke nichts.
Der Gong ertönt.
Bevor ich schlagen
kann, stößt mein Gegner sein Schwert gerade auf mich zu,
findet eine Lücke zwischen Schild und Schwerthand. Ich
spüre, wie etwas reißt. Ich sehe Blut. Da ist großer
Druck, dann Schmerz.
Als er seine Klinge
zurückzieht und erneut zum Stoss ansetzt, springe ich
zurück.
Ich werde sterben,
schreit es erneut in meinem Bewusstsein. Auf Schlag bin
ich vollkommen wach. Alle Eindrücke sind gleichzeitig
da. Alle Konturen glasklar und scharf.
Plötzlich tritt das
Geschehen in die Wirklichkeit. Tritt mein Gegner hinein.
Ich sehe, dass er
mich anblickt wie ein Stück Fleisch. Seinen Augen
sondieren, schätzen Größe und Gewicht ein, nehmen Maß.
Als hätte ich plötzlich alle Antennen ausgefahren, nehme
ich alle Dinge auf einmal wahr, die Temperatur der Luft,
den milchigen Himmel genauso wie meinen hämmernden
Herzschlag. Meinen Schmerz zusammen mit diesem
ungeheuren, mir so unbekanntem Gefühl.
Ich keuche.
Erschreckt wird mir bewusst, Mitwirkender zu sein in
diesem Film – und sagenhaft klar sehe ich, wie der Film
sich nach vorne spult, und wie ich in ihm sterbe. Mit
ungeahnter Kraft bäumt sich ein Wille. Lust und Angst
pulsieren wieder und wieder durch mich hindurch.
Mein Gegner setzt
nach.
Mein Erleben
reduziert sich wieder zurück auf meine Reaktion.
Wieder stößt sein
Schwert nach mir. Diesmal schiebe ich mein Schild
seitlich dem Schlag entgegen. Er gleitet ab.
Gleichzeitig prallt mein Schlag von oben auf sein
Schild. Er ist jetzt gefährlich nah. Drängt sich an mich
heran. Schiebt mich nach hinten.
Ich taumele zurück
und springe dann zur Seite weg. Laufe ein paar Schritte
und wende mich wieder um. Wie ein Panzer, mit gesenktem
Kopf und erhobenem Schwert, rollt er auf mich zu.
Jäh lasse ich mich
nach links in den wirbelnden Staub auf mein Schild
fallen und schlage mit aller Kraft zu
Mein Schwert
schneidet durch die Lederbandagen hindurch tief in sein
Fleisch.
Bevor ich mich
abdrehen kann, trifft sein Schwert meinen ungeschützten
Rücken. Ein Knacken. Explosionen von Schmerz. An seiner
Schneide entlang rolle ich aus seiner Nähe.
Wieder dieses jähe
Erkennen. Draußen dehnt sich die Zeit ins Unendliche.
Jede kleinste Wahrnehmung läuft einzeln, aufeinander
aufbauend und in totaler Zeitlupe vor meinen Augen ab.
Gleichzeitig rasen ganze Situationen meines Lebens wie
gerade erlebt in meinem Bewußtsein. Die letzten Jahre
wie ein Tag.
Am Morgen die
Einnahme der Pille, das wohlige Einlullern in den Tag,
die Abenteuer im Cyberspace. Kontaktsimulation, die
einen wie die anderen.
Plötzlich frühe
Erinnerungen an Umarmungen. Eine Mutter streichelt ein
Kind – mich. Ich hatte eine Mutter. Ich fühle. Alles ist
da. Ich will leben!
Nochmals und nochmals
rolle ich um meine Achse. Springe dann hoch. Schon ist
er da. Sein Schwert kracht ein weiteres Mal auf mich
herab, prellt auf mein Schild, bebt durch meinen Körper.
Weiter und weiter
drängt er mich zurück.
Und wieder sein
Schwert, bevor ich meines heben kann. Von der Seite
dringt es in mein Schild, spaltet es, bleibt kurz
stecken. Dies gibt Zeit.
Ein lauter Schrei und
meine Klinge schmettert auf sein Schild, gleitet
seitlich ab. Den Schwung des Hiebes nutzend, drehe ich
um ihn herum. Seine Waffe saust kurz darauf zischend
durch die Luft, weit an mir vorbei. Meine Chance. Ich
vollende die Drehung und stoße mein Schwert frontal nach
vorne, doch auch er dreht sich heraus und rammt sein
Schild auf meine Schwerthand. Die Waffe prellt mir aus
der Hand.
Bevor ich sie wieder
aufheben kann, drängt er mit seinem Schild nach vorne.
Sein Schwertschlag streift heiß meinen Arm.
Verloren, denke ich.
Gerade jetzt.
Nein. Gerade jetzt
nicht. Trotzig recke ich dem Feind mein Kinn entgegen,
schmale Augen, die Zähne zusammengebissen. So leicht
nicht.
Nie gekanntes
Pulsieren füllt mich auf wie einen leeren Schlauch. Jede
Zelle berstet vor Intensität, ist erfüllt mit Leben.
Und da ist der Feind,
der auf mich zustampft. Auch jetzt im Angesicht seines
Triumphes zeigt sich keine Regung auf seinem Gesicht.
Ihm zugewandt taumle
ich nach hinten. Er hinkt. Ich bin der Schnellere. Vor
mir eine Spur von Blut. Mein Blut. Noch - bin ich der
Schnellere.
Erneut dringt das
Bild meiner Mutter in mein Gesichtsfeld. Alles in mir
weiß, dass sie es ist, obwohl ich sie gar nicht kenne.
Sehe ihre Tränen, erhobene Arme und wie sie davon
geschoben wird. Kenne plötzlich diesen Abschied, unsere
letzten Begegnung. Wieso war es mir nie bewusst gewesen?
Er voran – ich
rückwärts. Müde Schritte. Keuchen. Blut. Staub.
Wie lange geht es
schon so? Ich habe nur noch mein Messer. Mein Leben
schwindet. Nur zurück.
Plötzlich springt er
unerwartet nach vorne. Wie ein Strahl kommt seine Klinge
auf mich zu. Entsetzt schrecke ich zurück – zu schnell –
stürze. Er ist direkt über mir. Wegrollen! – einmal um
mich herum –und weiter - rappel mich auf – trunkene
Schritte – stürze erneut. Wieder ist er da. Keine Chance
mehr.
„Nein, nur noch
diese“ und ramme ihm mein Messer von oben in den Fuß,
ziehe mich vorwärts an seinen Beinen entlang. Sein Hieb
trifft irgendwo, aber meine Bewegung geht weiter. In
seinem Rücken komme ich hoch, reiße sein Messer aus dem
Gürtel, während er herum wirbelt. Er will mich mit
seinem Schild nach hinten stoßen. Ich fasse es und
verlängere seinen Schwung. Schwer fällt er direkt vor
meine Füße. Mit beiden Händen das Messer haltend falle
ich auf seinen Leib, stoße in ihn hinein.
Gleichzeitig wischt
sein nietenbeschlagener Handschuh über mein Gesicht.
Sofort bin ich blind. Rot verschleierte Welt. Ich stemme
mich hoch – nur weg von ihm – kann mich aber nicht auf
den Beinen halten. Höre ihn stöhnen. Er ist nahe. Seine
Pranken prallen dumpf auf meinen Körper. Ich werfe Hände
voll Sand in sein Gesicht und krabbel auf allen Vieren
davon - Meter um Meter - Meter um Meter - bin wieder
Kind. Da ist Lachen, krabbel, wie ich nur kann und werde
hochgehoben. Liebende Gesichter. Eine drehende Welt.
Alles ist hell.
Ich erwache im Bett.
Ein Raum. Weiße Decke. Schmucklose Wände. Links
Apparaturen. Einen Schlauch in jedem Arm. Schmerz, der
weit weg ist. Nicht irgendwo, sondern überall.
Lange liege ich und
nehme nur wahr. Ohne Denken bin ich mit allem, was ich
sehe und spüre, verbunden.
Bewegung tritt in den
Raum. Ich kehre in mich zurück. Eine Schwester kommt,
stellt ein Tablett auf einen Tisch neben mein Bett,
wendet sich den Apparaturen zu.
Mit einem Blick auf
das Tablett mit der altbekannten Medizin, sage ich: Ich
nehme diese Pillen nie wieder.
Die Stirn in Falten
gelegt, schaut sie auf mich herab. Unwillkürlich fasse
ich ihre Hand.
Wie ein Erkennen
huscht ein Glanz über ihre Augen. Ich lasse ihre Hand
nicht los. Streichle sanft.
Ihre Augenbrauen
tanzen erstaunt. Sie legt den Kopf ein wenig schief. Ich
sehe, wie etwas in ihr passiert. Kleinste Muskeln
musizieren in ihrem Gesicht. Dann gräbt sich eine Furche
zwischen ihre Brauen. Wie verbrannt entreißt sie ihre
Hand.
Sie wendet sich ab
und doch sofort wieder hin.
Verwirrung zuckt in
ihren Augen. Ein Suchen und ein Rätseln. Das eine Auge
klein gezogen, bis ein Ruck durch ihren Körper bebt, sie
sich umdreht und geht.
Ein Lächeln in all
meinen Zellen.
Sie wird
wiederkommen.
Ich liege im Bett und
warte.
|